Hans Johner
Johner, Hans Ludwig (1889–1975). 1911–75. Bs 1916–63,
VP 1930–33, EM 1942. Berufsmusiker und bedeutendster
Schweizer Schachmeister des 20. Jahrhunderts.
Als jüngstes
von elf Kindern einer alten Berner Familie wuchs Johner in
Basel und Frankfurt am Main auf und lernte mit sieben Jahren
das Schachspiel kennen. Schon als 17-Jähriger sorgte er mit
einem 2. bis 3. Platz am Internationalen Hauptturnier B in Ostende
für Aufsehen und erhielt vier Jahre später im Hauptturnier
B des deutschen Kongresses 1910 nach unentschiedenem
Stichkampf die Meisterwürde des Deutschen Schachbundes zugesprochen.
Eigenartigerweise sollte es für Jahrzehnte Johners
letztes Einzelturnier im Ausland sein!
Nach seiner Übersiedlung nach Zürich liess ihm der Musikerberuf nur noch selten Zeit für längere Abwesenheiten. Als Violinist und Bratschist spielte er während der nächsten 45 Jahre im Zürcher Tonhalleorchester, viele Jahre davon als Vorstandspräsident des Orchesters. Ähnlich lang dauerte seine Lehrtätigkeit am Konservatorium, wo er von 1914 bis 1956 Geigenspiel unterrichtete – zwischen den Orchesterproben am Morgen und den Aufführungen am Abend.
Trotz dieser starken Beanspruchung blieb der begabte
Schachmeister seinem Hobby aufs Engste verbunden. Im Ausland
spielte er mit zwei unbedeutenden Ausnahmen nur noch
an den Schacholympiaden 1924, 1927, 1931 und 1956, doch seine
Erfolge bei den nationalen Meisterschaften waren dermassen
überwältigend, dass er auch so vom internationalen Schachverband
1950 als einer der Ersten den Titel «Internationaler
Meister» offiziell verliehen erhielt.
Sein Palmarès sucht in helvetischen
Landen tatsächlich seinesgleichen: Schon bei seinem
ersten Schweizerischen Schachturnier, 1908 in Bern, machte
er nachhaltig auf sein aussergewöhnliches Talent aufmerksam,
teilte er doch den ersten Preis zusammen mit seinem Bruder
Paul Johner.
Nach kleineren Rückschlägen 1910, 1911 und
1913 folgte 1923 der zweite Sieg im Meisterturnier, und ab 1928
reihte sich Titel an Titel. In den zehn Turnieren zwischen 1928
und 1938 wurde der «Meister-Hans» nicht weniger als achtmal
Landesmeister. 1947 und 1950 liess er die Siege Nummer elf
und zwölf folgen – ein bis heute unerreichter Rekord. Selbst
mit über 70 Jahren teilte er später noch den dritten Rang!
Daneben gewann Hans Johner 1927 das Übungsturnier der
Nationalmannschaft, 1930 das Viermeisterturnier in Le Pont
(vor Ossip Bernstein, Oskar Naegeli und Walter Michel),
1938 das Fritz-Widmann-Gedenkturnier, unzählige lokale Turniere
in Zürich (zwischen 1913 und 1964 mindestens 13 Mal
das Winterturnier) sowie fünfmal die Coupe Suisse (zwischen
1953 und 1956 dreimal in Folge).
Und alle diese Erfolge in
einer Zeit, notabene, wo sowohl die Coupe Suisse wie das Winterturnier
der Schachgesellschaft einen Grossteil der Schweizer
Spitzenspieler vereinigte!
Einzig für die Anlässe des Stadtverbands
konnte er sich nie begeistern, wenngleich er dem Verein
– sofern es der Spielplan der Tonhalle erlaubte – in der
Zürcher Mannschaftsmeisterschaft ebenso zuverlässig zur Verfügung
stand wie in Dutzenden von Klubwettkämpfen, in den
meisten Fällen am ersten Brett.
Unentgeltlich gab Johner in
der Schachgesellschaft zahlreiche Simultanvorstellungen und
blieb in den GV-Blitzturnieren bis ins hohe Alter regelmässiger
Sieger; selbst mit 85 Jahren gewann er noch souverän das
vereinsinterne Seniorenturnier.
Ähnlich beeindruckend wie seine Erfolge waren Johners vornehmes Wesen, seine Bescheidenheit und seine Bereitschaft, auch Gegner und Vereinskameraden an seinem Schachwissen und seiner Erfahrung teilhaben zu lassen. Fast ein halbes Jahrhundert gehörte er dem Vorstand der Schachgesellschaft an, und sein kluger Rat und seine Vermittlungskunst wurden hier ebenso hoch geschätzt wie im Zentralvorstand des SSV, dem er von 1913 bis 1916 und von 1930 bis 1963 als Beisitzer und Vertreter der Schachgesellschaft angehörte. Als kleiner Dank wurde er in beiden Vereinigungen zum Ehrenmitglied ernannt.
Als Schachmeister und als Persönlichkeit stach Johner aus
der Menge hervor, doch auch als Problemkomponist schuf er
Beeindruckendes. Schon als Jugendlicher hatte ihn das Kunstschach
zu faszinieren begonnen, so dass er sich als 15-Jähriger
bereits in ersten eigenen Kompositionen versuchte.
Nachdem
er 1914 in die Schachredaktion der «Neuen Zürcher Zeitung»
eingetreten war (wo er mit profunden Partiebearbeitungen die
Leser unterhielt), liess er auch dem von Eugen Meyer redigierten
Problemteil etliche eigene Aufgaben zukommen. Auf
diesem Gebiet gelang ihm ebenfalls Aussergewöhnliches, und
nachdem er 1939 die Schachspalte ganz übernommen hatte
(die er schliesslich während 57 Jahren betreuen sollte!), intensivierte
er die Komponiertätigkeit gar noch. Bis ins hohe Alter
schuf er hochkomplexe und international prämierte Probleme,
von denen 194 in einer Anthologie seiner Schülerin und späteren
NZZ-Nachfolgerin Odette Vollenweider gesammelt wurden.
Wie sehr Hans Johner auch als Komponist eine Ausnahmeerscheinung
war, zeigt vielleicht am besten die Tatsache, dass
der Schachzeitung zu seinem 60. Geburtstag nicht weniger als
14 Widmungsaufgaben zugingen!
Nicht nur im Orchester, auch im Zürcher und Schweizer
Schach hat Hans Johner mit meisterhafter Kunstfertigkeit die
erste Geige gespielt. Heute ist er ein Stück Schachgeschichte.